Dienstag, 19. Juli 2016

Lieber ignoranter Verkehrsteilnehmer,

hier mal eine Frage an dich: Hast du während einer Autofahrt schon einmal ein Fahrrad auf dich zufliegen sehen? Ja, richtig: Fliegen.
Kreiselnd durch die Luft in Richtung deiner Windschutzscheibe.
Ziemlich sicher stellst du dir das gerade vor.

Und jetzt noch das: Du fährst 130 km/h auf der Autobahn, mittlere Spur, mit dir im Auto Frau und Kinder … und ein Fahrrad fliegt auf dich zu …

Eventuell denkst du nun „Wie unrealistisch. Fahrräder können gar nicht fliegen. Wo soll das denn herkommen?“
Tja, Recht hast du, fliegen können die normalerweise nicht, heißen ja FAHRräder, nicht Flugräder.

Es gibt aber eine Gattung Menschen, die kann Fahrräder zum Fliegen bringen. Ganz ohne Magie und Zauberei, einfach durch unsägliche Ignoranz.

Egal, was Stiftung Warentest und Konsorten sagen, ich habe diesen Anhängerkupplungs-Fahrradträgern noch nie getraut. Ich habe wenig bis keine Ahnung von Physik, aber das erscheint mir schon beim Anschauen unmöglich … ok, Hummeln können auch fliegen, möglicherweise steckt dieser Denkansatz hinter der Konstruktion der Fahrradträger. Ich hätte nur nie vermutet, dass es die Absicht eines Fahrradbesitzers sein könnte, sein Fahrrad in die entgegengesetzte Richtung seiner eigentlichen Fahrstrecke zu befördern …

Man sollte davon ausgehen, dass es mit GS, CE, TÜV, blauem Engel und wie sie alle heißen in Deutschland ausreichend Prüfsiegel für Produktsicherheit gibt und nur solche Produkte die Marktzulassung erhalten, die gewisse Mindestanforderungen erfüllen. Dazu gehört meiner Ansicht nach auch, dass ein Fahrradträger nicht als Startrampe für UFOs (= Unbeabsichtigte FlugObjekte) dienen sollte, sondern ein Fahrrad gemäß seinem Namen TRÄGT, man könnte auch sagen HÄLT.

Was die ganzen Prüfinstitutionen leider in puncto Sicherheit nicht abdecken können, ist der unter dem Namen DAU (=Dümmster Anzunehmender User) vorzufindende Falschanwender. Während dieser z.B. in der Haustechnik oftmals „nur“ zur Gefahr für Caviidae der Ordnung Rodentia wird (Meerschweinchen zum Trocknen in die Mikrowelle), besteht im Straßenverkehr die ungleich höhere Wahrscheinlichkeit einer gesteigerten Mortalität beim Homo Sapiens.

Wir haben ja stillschweigend akzeptiert, dass wir uns in dem Moment in Lebensgefahr begeben, in dem wir uns nur auf die Straße begeben. Grundsätzlich glauben wir aber nicht daran, dass uns etwas passiert. Es passiert immer nur den anderen.
Und was deinen Fall betrifft, stimmt es auch. Es passiert nämlich nicht dir, sondern mir.

Wenn ich dich also an der Ampel auf dein absolut grottenschlecht befestigtes und schief hängendes Fahrrad am Heck aufmerksam mache, dann ist das kein Zeichen ausgeprägter Philanthropie.
Das Fahrrad geradezubiegen und dann weiterzufahren löst auch nicht das Problem.
DAS TEIL IST NICHT RICHTIG BEFESTIGT!

Fahr rechts ran, schraub es fest oder mach es ab, leih dir Zeit vom Extra-Langsam-Geher, aber mach irgendetwas! Nein, nicht weiterfahren! Etwas anderes!

Ich habe wenig bis keine Ahnung von Latein, aber der Zustand, in dem ich mich befinde, wenn ich das sehe, könnte Birotavolaticusphobie heißen.

Und wenn ich dich nochmal mit so einem schlecht befestigten, verkehrsgefährdenden Aufbau am Auto erwische, rate ich dir zu ein bisschen Agliophobie.

Liebe Grüße,
deine ängstliche Verkehrsteilnehmerin

Donnerstag, 14. Juli 2016

Lieber Extra-Langsam-Geher,

ich finde es toll, dass du alle Zeit der Welt hast. Das macht mich richtig neidisch. Alle Zeit der Welt zu haben ist bestimmt ein tolles Gefühl.
Wenn ich dir zusehe, wie du gemütlich über die Straße schlenderst und dabei so einen selbstzufriedenen Gesichtsausdruck zur Schau stellst, bestätigt das meine Annahme.
Bestimmt möchtest du mich gerne teilhaben lassen an diesem tollen Gefühl. Ich denke, das ist der Grund, warum du so nett in meine Richtung lächelst. Wüsste ich es nicht besser, ich würde dein Lächeln als süffisantes Grinsen bezeichnen, aber dazu hast du ja gar keinen Anlass, oder? Schließlich kennen wir uns gar nicht.
Und dass der Mittelfinger gerade bleibt in der ansonsten geschlossenen Hand, während du mir zuwinkst, liegt sicherlich an einer Verletzung …

Trotz dass du so nett winkst, finde ich es etwas ärgerlich, dass du so gemütlich über die Straße schlenderst, während ich ohnehin schon zu spät dran bin, dich aber erst noch zu Ende schlendern lassen muss, bevor ich weiterfahren kann.

Nur damit keine Missverständnisse entstehen: DU bist zu Fuß auf der Fahrbahn und ICH sitze in einem Fahrzeug. Per Definition befindest DU dich also in MEINEM Revier und ich muss gar nichts.
Vier Meter weiter gibt es einen Zebrastreifen, im Amtsdeutsch auch Fußgängerüberweg (FGÜ) genannt. Eventuell weißt du schon, worauf ich hinaus will? Das Wort Fußgängerüberweg impliziert die Verwendung durch einen Fußgänger, in unserem Fall also dich. Dort ist DEIN REVIER. Im Bereich des Zebrastreifens hast du Vorrang vor allen anderen Verkehrsteilnehmern (und zwar seit 1964 offiziell, hat 12 Jahre gedauert von der Einführung der Zebrastreifen in Deutschland bis zur gesetzlichen Verankerung des fußgängerlichen Vorrechts auf diesen).

Hier, wo du gerade gemütlich schlenderst, habe ich Vorrang. 
Und du verstößt gegen §25, Absatz 3 der StVO. (Vermutlich interessiert dich das nicht die Bohne, aber das musste mal gesagt werden.)

Ich weiß aber, dass ich als Verkehrsteilnehmer an den elementaren Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme gebunden bin und deswegen ja doch irgendwie irgendetwas „muss“. Du zwar auch, aber der Klügere gibt ja bekanntlich nach, deswegen stehe ich hier und warte, bis du schlendermäßig die andere Straßenseite erreicht hast.
Und es heißt ja, Fußgänger sind Autofahrer mit zu wenig Geld oder zu viel Zeit. Was mich wieder zum Anfang zurück bringt.

Alle Zeit der Welt zu haben ist schon etwas unverschämt, um nicht zu sagen habgierig. Da bleibt ja gar nichts mehr für die anderen übrig! Kein Wunder, dass heutzutage niemand mehr Zeit hat, du hast sie ja alle!

Könntest du mir ein kleines bisschen davon abgeben? Etwas schneller über die Straße und ich dafür etwas weniger lang in der Warteposition? Das wäre doch ein Kompromiss, oder nicht?

… und wenn noch genug Zeit übrig ist, dann würde ich dir noch einen Arztbesuch empfehlen, das mit deinem Mittelfinger, das sieht irgendwie nicht gut aus …

Liebe Grüße,
deine Keine-Zeit-Haberin

Montag, 4. Juli 2016

Lieber Mitbürger,

ich kenne deine Beweggründe nicht. Es könnte Höflichkeit sein, vielleicht aber auch heimliche Schadenfreude. Angst vor einer blöden Gegenreaktion oder Spaß an der Bloßstellung.

Eigentlich ist es mir auch egal, denn ich schreibe diesen Brief an dich nicht, um deine Beweggründe herauszufinden, sondern um dir mein Empfinden darzulegen und vor allem, um eine Bitte auszusprechen. Diese Sache liegt mir sehr am Herzen und ich würde mich riesig freuen, wenn du zukünftig an meine Worte denkst und entsprechend handelst. Ich bin mir zudem ziemlich sicher, dass auch andere Betroffene davon profitieren können.

Also, egal ob ich vom Mittagessen komme, vom WC oder aus der Damenumkleide, nur keine Hemmungen. Eines kann ich dir versichern: Wenn es lustig aussieht, ist es wahrscheinlich keine Absicht!
Und wenn ich nach Hause komme und beim Blick in den Spiegel überlegen muss, wann ich zuletzt gegessen, meine Notdurft verrichtet oder ein Kleidungsstück anprobiert habe und wie lange ich infolge dessen diesen untragbaren Zustand zur Schau gestellt habe, dann weiß ich einmal mehr, wie wichtig dieser Appell ist. Es sollte doch niemand dieser Schmach ausgesetzt werden, nachträglich am liebsten im Boden versinken zu wollen.

Also hier ist meine Bitte, ganz einfach:
Wenn ich Essen zwischen den Zähnen, eine Klopapierfahne an der Jeans oder den Rock hinten in der Strumpfhose stecken habe: Sag es mir einfach!

Das war's schon. Danke.

Liebe Grüße,
deine Am-liebsten-im-Boden-Versinkerin

Freitag, 1. Juli 2016

Lieber Einkaufswagen-zur-Seite-Schieber, 

ich weiß schon, es ist total nervig, wenn die Einkaufswagen mitten im Gang stehen und man weder rechts noch links dran vorbeikommt. Ärgerliche Sache, schließlich muss der Verkehr fließen, auch im Supermarkt. Das sehe ich genauso. Absolut. Ich werde den Einkaufswagen-im-Weg-Stehenlassern auch mal einen Brief schreiben.

Aber dieser Brief ist erst einmal an dich und dient der Aufklärung: Es gibt nämlich einen, und ich betone EINEN, aus meiner Sicht zulässigen Grund, seinen Einkaufswagen in der Mitte des Ganges stehen zu lassen. Und dieser Grund sitzt in Form eines Kleinkindes darin.
„Das ist ein Kindersitz?“, bist du vielleicht jetzt erstaunt. Macht ja nichts, dass du das nicht wusstest, die Handtasche fühlt sich dort auch wohl. Aber ja, prinzipiell ist das ein Kindersitz und der ist auch recht praktisch, denn die Mutter (oder natürlich auch der Vater) hat beide Hände frei, um den Wagen zu schieben und Einkäufe hinein zu legen. 

Dumm ist nur, dass das Kind, welches in dem Wagen sitzt, ebenfalls beide Hände frei hat … 

Kinder sind grundsätzlich bestrebt, ihren Eltern zu gefallen (zumindest noch in dem Alter, in dem der Kindersitz im Einkaufswagen Relevanz hat), deswegen helfen sie natürlich gerne beim Einkaufen. 
Jetzt können diese Kinder im Regelfall noch nicht Lesen und die Mutter (oder natürlich auch der Vater) hat den Einkaufszettel nicht mit der Anwendung Kleinkind 1.0 synchronisiert … 

Folgendes spielt sich nun so oder so ähnlich ab: Die Mutter (oder natürlich auch der Vater) geht nach über Jahre hinweg ausgefeiltem Konzept den Einkaufszettel gemäß der Warenanordnung in den Gängen durch und bestückt den Einkaufswagen entsprechend Bedarf.
Soweit ist noch alles unter Kontrolle. 

Am Kühlregal mit den Milchprodukten fällt der Mutter (oder natürlich auch dem Vater) plötzlich ein, dass sie zusätzlich zu den Äpfeln ja dieses Mal auch Birnen kaufen könnte. Aus Gründen der ökonomisch-effizienten Einkaufsführung lässt sie (oder er) den Wagen samt Kind und bisher eingefüllten Waren beim Kühlregal stehen. Und zwar aus oben genannten Gründen zur Mitte des Ganges hin. 
Die Formel für den notwendigen Abstand zum Regal, um das Kind und die Kühlwaren in ungefährlichem Abstand zueinander zu halten, beträgt hierbei: 
die Armlänge des Kindes Aml plus den Beugungswinkel des kindlichen Oberkörpers BO (und Kinder sind SEHR beweglich) multipliziert mit dem Willen des Kindes, das Regal zu erreichen WRa … mal zwei … geteilt durch die Wirksamkeit der elterlichen Ermahnung, schön artig zu sein Sb plus die Sicherheitstoleranz St ≥ 10 cm.

Soweit ist immer noch alles unter Kontrolle. 
Und jetzt kommst du! 
Ärgerst dich über den Wagen, den irgend so ein Idiot wieder mitten im Weg hat stehen lassen. Und schiebst ihn zur Seite. 

Du ahnst, was jetzt kommt? 

In deinem Ärger entgeht dir das Aufleuchten im Gesicht des Kindes. Oder du denkst, es lächelt dich an … 
Abhängig von der Variablen Sb wird das Kind nun sehr wahrscheinlich damit beginnen, den Wagen selbst zu befüllen. Dass die Mutter (oder natürlich auch der Vater) gar nicht 5 Liter Sahne benötigt, kann es ja nicht wissen. Schliesslich macht es nur, was Kinder in dem Alter so machen: es ahmt seine Eltern nach, und die nehmen bunte Verpackungen aus dem Regal und legen sie in den Korb.

Manche Kinder haben eine eingebaute Alarmanlage, die losschlägt, sobald sich jemand Fremdes nähert. In diesem Fall Pech für dich, musst du einen anderen Gang nehmen.
 
In den meisten Fällen aber kommt es anders. Während also die Mutter (oder natürlich auch der Vater) noch zwischen Abate und Williams Christ abwägt, hat das Kind fröhlich Sahne, Schmand, Crème fraîche und Kräuterquark in den Wagen geschaufelt. Das bekommst du meistens gar nicht mehr mit, bist ja schon weitergegangen und ärgerst dich nicht mehr ganz so stark, weil das Kind dich so nett angelächelt hat

Die Mutter (oder natürlich auch der Vater) bekommt das leider oft auch nicht sofort mit. Die Ablenkungen sind vielfältig … aber das ist ein anderes Thema.

Glück hierbei hat noch, wessen Kind den Einkaufswagen auch tatsächlich trifft. Wer schon einmal auf einem nicht drehbaren Stuhl mit Arm- und Rückenlehne sitzend versucht hat, einen Gegenstand in einen direkt hinter ihm befindlichen Behälter zu füllen, ahnt vielleicht, wie schwierig das sein kann. Möglicherweise landet die Sahne nämlich dann auf dem Boden, was den Peinlichkeitsfaktor nicht gerade verringert.
 
Spätestens an der Kasse jedoch kommt das böse Erwachen. Aus meiner Sicht sind das die drei peinlichsten Geschehnisse an der Supermarktkasse: 
  1. Portemonnaie vergessen 
  2. Obst/Gemüse nicht abgewogen 
  3. Falscher Inhalt im Einkaufswagen 

Jetzt muss schnell entschieden werden: Die Sachen unbemerkt im Sonderangebote-Korb vor der Kasse verschwinden lassen? Dem Kind vor allen Leuten eine Szene machen? Der Kassiererin alle ungewollten Artikel zum späteren Wegräumen überlassen? Oder sich jede Peinlichkeit ersparen und die Produkte einfach mitkaufen? Werden sich schon verwerten lassen. 
Die Mutter (oder natürlich auch der Vater) entscheidet sich meistens für die letzte Option, allein schon, weil die ganzen vorangegangenen Diskussionen und Erklärungen mit und für das Kind (Nein, wir kaufen keinen Pudding./Weil du den nicht magst./ Nein wir kaufen keine Bärchenwurst./Weil die doppelt so viel kostet wie die normale./ Nein, wir brauchen keine Nudeln./ Weil unser Vorratsschrank noch voll ist mit Nudeln.) bereits die letzten Energiereserven aufgebraucht haben. Also wird einfach zähneknirschend bezahlt und innerlich auf den Einkaufswagen-zur-Seite-Schieber geschimpft, dem man das Ganze nur zu gern in Rechnung stellen würde. 

Puh ... jetzt kann ich nicht mehr. 

Ich hoffe, dass ich dir den zulässigen Grund für das Stehenlassen des Einkaufswagens in der Mitte des Ganges näher bringen konnte und du das in Zukunft berücksichtigst. Die Formel hast du ja jetzt, falls du das nächste Mal einen Wagen zur Seite schieben musst. 

Allerdings … während ich das hier schreibe, habe ich eine Erkenntnis: Wahrscheinlich bist du vom Supermarkt als Einkaufswagen-zur-Seite-Schieber (Neudeutsch: shopping trolley adjustment manager) engagiert, um den Umsatz zu erhöhen. Das ist ja eine ganz raffinierte Methode … 

Liebe Grüsse, 
deine Einkaufswagen-im-Weg-Stehenlasserin